Die Thematik rund um gebietseigenes oder autochthones Saat- und Pflanzgut hat das NBL bereits mehrmals adressiert, u.a. hier in der BMN sowie in unseren Handlungsempfehlungen. Seit der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetz 2009 (BNatSchG, letzte Aktualisierung 2017) ist im §40 das Ausbringen von einheimischen Tier- und Pflanzenarten geregelt, nämlich dass die Ausbringung von Pflanzen oder Tieren „der Genehmigung der zuständigen Behörde bedarf“. Satz (2) des Gesetzes sagt, dass „dies nicht für künstlich vermehrte Pflanzen gilt, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben“. Zudem regelte das Gesetz, dass bis zum 01. März 2020 Gehölze und Saatgut temporär von dieser Regelung ausgenommen wurden. D.h., dass es bis Februar 2020 nicht verboten war Wildpflanzen irgendwelchen Ursprungs in der ‚freien Landschaft‘ auszubringen. Für Pflanzen regelt zudem im Zusammenspiel mit dem Saatgutverkehrsgesetz die Erhaltungsmischungsverordnung (ErMiV) die Details des Inverkehrbringens von Saatgut von Erhaltungsmischungen, so werden dort z. B. die Ursprungsgebiete für Wildpflanzen definiert.
Generell ist bei gebietseigenem Saatgut zwischen lokalem Saatgut (naturraumgetreuem / autochthonem Saatgut) und regionalem Saatgut (Regiosaatgut) zu unterscheiden. Lokales Saatgut wird durch die Beerntung von geeigneten Spenderflächen mittels spezialisierter Verfahren gewonnen, z. B. per Mahd- oder Druschgutübertragung, und dann direkt auf einer nahe gelegenen Ansaatfläche ausgebracht. Regiosaatgut wird auf ausgewählten, natürlichen Flächen geerntet, dann auf Ackerflächen in einem größer definiertem Produktionsraum ausgesät und bis zu fünf Jahre bzw. fünf Generationen vermehrt und beerntet. Aus diesem Erntegut werden dann Ansaat-Mischungen zusammengestellt.
Mit lokalem Saatgut ist durch kurze Transportwege normalerweise gewährleistet, dass das gesamte Saatgut aus gebietseigener Herkunft der unmittelbaren Nähe ist. Beim Vermehrungsverfahren ist dies nicht so eindeutig, da nicht immer alle Arten einer Mischung beerntbar, vermehrbar oder schlicht in ausreichender Menge auf Lager sind. So kann es zu abweichenden Mischungszusammensetzungen kommen, wenn nicht alle Arten aus einem Ursprungsgebiet vorhanden sind. Nach BNatSchG und ErMiV war eine Zumischung von Arten aus einem benachbarten Ursprungsgebiet bis einschließlich Februar 2020 erlaubt.
Leider gibt es nun seit dem Wegfall der Übergangsregelung zum März 2020 keine eindeutige Verordnung nach der die Behörden zu handeln haben. Einzelne Berichte von Betroffenen zeigen auch, dass die Naturschutzbehörden sehr unterschiedlich oder gar nicht auf die nun anstehenden Genehmigungsprozesse vorbereitet sind (dies kann die Untere bzw. Obere Naturschutzbehörde sein. Die Handhabung ist leider in den Bundesländern nicht einheitlich geregelt). Zudem gibt es zwischen den Bundesministerien für Umwelt (Zuständigkeit Naturschutz) und dem für Land- und Forstwirtschaft (Zuständigkeit Saatgut) bisher nicht nur keine neue Umsetzungsverordnung, sondern auch noch unterschiedliche Ansichten wie nun Gesetz und Verordnung angewendet werden sollen.
Sollte nun in einer Wildpflanzen-Mischung nur eine Art eine Herkunft aus einem anderen Ursprungsgebiet haben, als dem, in das sie ausgebracht werden soll, so benötigt der Anwender am Ausbringungsort aktuell nach dem Gesetz eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde. Dies gilt jedoch nur für die ‚freie‘ Landschaft (s. Box ‘Freie Landschaft’). Auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen gilt nach Maßgabe des Landwirtschaftsministerium weiterhin die ErMiV, die die Ausbringung solcher Mischungen mit (teils) nicht im engen Sinne gebietseigenen Saaten weiterhin ohne Ausnahmegenehmigung durch die Naturschutzbehörden aufgrund der bisherigen Übergangsregelung ermöglicht (Privilegierungstatbestand der land- und forstwirtschaftlichen Flächen für den § 40 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 BNatSchG). Dies ist sehr verwirrend und fordert vom Anwender ein geradezu hochspezialisiertes Wissen. Nach derzeitigem Stand soll es im Laufe des Frühjahrs eine Abstimmung im Bundesrat über das weitere Vorgehen geben.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) als Bundesfachbehörde wird nun in einem Forschungsvorhaben 2020-2023 die genetische Vielfalt einer Auswahl an krautigen Arten in Deutschland näher untersuchen lassen, und außerdem 2020-2021 analog zum Leitfaden zu gebietseigenen Gehölzen einen Leitfaden zu gebietseigenem Saatgut entwickeln lassen. Dumm nur, dass die gesetzliche Regelung aktuell schon gilt und nicht erst 2021 oder 2023. Es wird deutlich, dass in den letzten Jahren eine Regelung schlicht verschlafen wurde, obwohl maßgebliche Akteure die Politik und Behörden auf die Schwierigkeiten zum Stichtag in 2020 hingewiesen haben.
Leidtragende sind nun diejenigen, die mit gebietsheimischen Wildpflanzen-Ansaaten eigentlich etwas Gutes – ja sogar das Beste – für unsere heimische Artenvielfalt, für Blütenreichtum und Schutz der Blüten besuchenden Insekten tun wollen. Sie werden alleingelassen, sind mit den juristischen und fachlich-inhaltlichen Fallstricken nicht vertraut und dürfen sich mit auf die Aufgabe unvorbereiteten Behörden rumschlagen. Das ist, bei Lichte betrachtet, ein Bärendienst für den Insektenschutz und läuft den offiziellen Verlautbarungen und schönen Pressetexten zum bundesweiten “Aktionsprogramm Insektenschutz” zuwider.
Was ist die “Freie Landschaft”?
Eine Begriffsdefinition
Die ‚freie Landschaft‘ ist ein konzeptionelles Konstrukt der „natürlichen oder naturnahen Landschaft“ und beinhaltet alle Flächen außerhalb der überbauten Gebiete. Dazu gehören neben Naturschutzflächen (auch in innerörtlicher Lage), Verkehrsrandflächen und allen öffentlichen Flächen außerhalb des Siedlungsbereiches auch die land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen. Davon ausgenommen sind die im Gegenzug stark vom Menschen genutzten Landschaftsbereiche, also alle innerörtlichen Bereiche (Siedlungsbereich oder Baubereich, auch Parkanlagen, Gärten etc.).
Im Sinne der Ausbringung von gebietseinheimischem Saatgut ist jedoch die ‘freie Landschaft’ stark verkleinert. So gelten nämlich der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft nach § 40 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 BNatSchG als vom Genehmigungsvorbehalt ausgenommen. Landwirtschaftliche Blühstreifen und -flächen fallen nach aktueller Auffassung ebenfalls unter den Privilegierungstatbestand. D. h. in einfachem Deutsch: land- und forstwirtschaftliche Flächen gelten entsprechend der Rechtslage vor März 2020 als nicht genehmigungspflichtige Ausbringungsorte für Wildpflanzen-Mischungen gemäß der ErMiV.
Kommentare (3)
Kategorie:Allgemein