Wie sich Wahrnehmung und Realität beim Insektenschutz unterscheiden
– oder: “Wir machen doch schon so viel!”
Spätestens seit dem Erscheinen der Krefelder Studie und zahlreicher Folgestudien ist klar, dass die Biodiversität in erschreckender Geschwindigkeit abnimmt und dass dieser Verlust von Arten und Lebensräumen die Funktionen von Ökosystemen beeinträchtigt. Dies hat direkte Folgen für uns Menschen und die Welt, in der wir leben. Dass der Biodiversitätsverlust dem Klimawandel an negativen Folgen in nichts nachsteht ist mittlerweile auch wissenschaftlicher Konsens.
Der Großteil der Bevölkerung will sich nicht damit abfinden, dass Tier- und Pflanzenarten zugunsten schneller Profite einfach verschwinden. Ein “Weiter so” in der Naturschutz- und Agrarpolitik ist nicht gewünscht, die Gesellschaft wünscht sich vielmehr eine nachhaltige Wirtschaft, die das Klima schont, die Biodiversität fördert und die Welt in einem funktionsfähigem Zustand hält. Das zeigen breite gesellschaftliche Bündnisse, zahlreiche Volksbegehren und -initiativen, Fridays for Future und Wir-haben-es-satt-Demonstrationen. Den Menschen liegt die Biodiversität mindestens genauso am Herzen wie das Klima.
Insektenschutzpaket, Schutz von Gewässerrändern, Blühstreifen und ganz viel Marketing – überall ist zu hören: “Wir machen doch schon so viel!”
Tatsache ist allerdings, dass dieses “so viel” einfach nicht reicht. Es ist rhetorische Augenwischerei, denn das Insektensterben geht weiter. In unserer täglichen Netzwerkarbeit sehen wir, was mit “wir machen so viel” meist gemeint ist: die Politik setzt schnell ein paar Gelder für Insektenschutzprogramme frei, auf jeder zweiten Frühstücksflockenpackung prangt eine Biene mit dem Versprechen, das Unternehmen setze sich für Biodiversität ein. Was aber wirklich passiert ist “business as usual”, das heißt es wird genau so weiter gemacht wie in den letzten Jahrzehnten. Hinter dem Tamtam der Pressemeldungen und Werbebotschaften passiert nicht viel, vielmehr überwiegt sogar die weitere Intensivierung der Landnutzung. Es wird gebaut was das Zeug hält und die billige Produktion von Lebensmitteln verlangt ihren Tribut auf der Fläche. Viele, teils auch teure Insektenschutz-Maßnahmen erscheinen so wie Nebelkerzen.
Innerhalb der EU gibt es konkrete Zielsetzungen für Biodiversität und Natur in der Landwirtschaft und diese Ziele werden objektiv und zahlenbasiert überwacht. Eines dieser wichtigen Ziele ist der Erhalt von Grünland, weil es wichtige Funktionen für Klima, Boden, Wasser und Biodiversität erfüllt. Als “Grünland” bezeichnet man Wiesen und Weiden und ein paar kleinere Strukturen, also landwirtschaftliche Flächen mit ganzjährigem, dauerhaftem und graslastigem Bewuchs (-> mehr zu verschiedenen Insektenlebensräumen hier).
Wir beim Netzwerk Blühende Landschaft haben die Mission, aus Grünland wieder “Buntland” zu machen und Wildblumen wieder mehr Lebensraum zwischen den Grashalmen zu geben. Beispiele sind unser Projekt “Buntes Grünland” und “LIFE Insektenfördernde Region Allgäu”.
Und auch der Bericht “Der Zustand der Natur in der Europäischen Union”, den die Europäische Kommission bereits 2020 veröffentlicht hat, weist artenreiches Grünland als besonders gefährdet aus.
Doch leider ist die gesamtpolitische Richtung eine andere: in Deutschland wird Grünland entgegen der “Wir machen schon so viel”-Aussagen nicht nur nicht bunter und lebendiger, nein: Grünland wird sogar zerstört! Es fällt dem Flächenfraß und der Umwandlung in Ackerland zum Opfer (trotz des Umbruchsverbots, das offenbar nur auf dem Papier seine volle Pracht zeigt), sodass wir eine netto-negative Grünland-Bilanz haben.
Dass Deutschland es nun nicht nur verpasst hat, Grünland durch Extensivierung zu verbessern, sondern nach wie vor aktiv Grünland zerstört und zwar in einem Umfang, dass die EU Deutschland wegen Nichteinhaltung von Vereinbarungen verklagt, ist in hohem Maße peinlich wie auch beängstigend (siehe auch NABU-Bericht von 2021).
Wir im Netzwerk Blühende Landschaft setzen uns weiterhin dafür ein, dass Grünland erhalten und zu “Buntland” transformiert wird, dass auch Äcker, Säume und Wegränder wieder blühen und dass biodiversitätsförderndes Wirtschaften für Landwirte*innen normal wird. Wir denken Klimawandel und Biodiversität zusammen.
Machen auch Sie mit!
- Mit einer Blühpatenschaft helfen Sie uns, Landwirten den Einstieg in die blühende Bewirtschaftung bunter Wiesen zu ermöglichen
- Als Klimapate*in ermöglichen Sie Landwirten, sich an Pflanzenkohle zu wagen und somit gleichermaßen Biodiversität zu fördern und Klima zu schützen
- In Ihrem eigenen Lebensumfeld können Sie selbst einiges für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge & Co. bewirken
- Wenn Sie selbst Land verpachten, können Sie über Ihre Verträge Einfluss auf die Art der Bewirtschaftung nehmen und z.B. Ackerland in Extensivgrünland umwandeln lassen
Anstatt empört oder schicksalsergeben zu klagen, arbeiten wir mit vielen Akteuren daran, die Landschaft erblühen zu lassen – machen Sie mit, verbinden Sie sich mit uns als Mitglied oder in einer ehrenamtlichen Regionalgruppe. Wenn Sie wenig Zeit haben hilft uns natürlich immer auch eine Spende bei unserer Arbeit.
Am wichtigsten ist es aber, dass jeder von uns konkret seinen eigenen Beitrag leistet: sowohl bei der Wahl der Lebensmittel als auch in seinem eigenen Lebensumfeld. Mit unseren kostenlosen Handlungsempfehlungen, Tipps & Tricks finden auch Sie eine Möglichkeit, selbst etwas für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge & Co. zu tun!
verfasst von: Dr. Matthias Wucherer und Dr. Linda Trein
Literaturhinweise:
- Der Zustand der Natur in der Europäischen Union
- Pressemitteilung der Leopoldina zu Schutz und Erhöhung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft
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Kategorie:Allgemein